Glykämischer Index und glykämische Last – Ernährungstherapeutischer Stellenwert

Der Gesundheitswert von Kohlenhydraten wird nicht nur über die Verzehrmenge gesamt bestimmt, sondern auch über die Kohlenhydratqualität. Das Konzept vom glykämischen Index und der glykämischen Last als Qualitätsparameter ist schon länger bekannt und hat sich in der Praxis durchaus bewährt.

Definitionen und Beispiele

Glykämischer Index

Die Bezeichnung „glykämischer Index“ geht vermutlich auf Jenkins im Jahre 1981 zurück [Jen 1981]. Der Index ist definiert als das Maß für die Blutglukose-Wirksamkeit nach Zufuhr von 50 g verwertbaren Kohlenhydraten mit einem Testlebensmittel. Oder pragmatisch ausgedrückt: Der glykämische Index (GI) beschreibt das Ausmaß des Blutzuckeranstiegs nach dem Verzehr eines Lebensmittels. Dabei gelten 50 g Glukose mit dem Wert von 100 % als Referenz.

Lebensmittel mit einem hohen GI führen zu einem rascheren Anstieg und einem höheren Maximalwert des Blutzuckers als solche mit einem niedrigen GI [Fos 2002]. Damit ist der GI quasi ein Maß für die ernährungsphysiologische Qualität der verzehrten Kohlenhydrate.

Die Einteilung der Lebensmittel erfolgt nach definierten Grenzwerten [Atk 2008] sowohl für den glykämischen Index (GI) als auch für die glykämische Last (GL).

Beurteilung

  • Ein GI bis 55 gilt als niedrig.
  • Ein GI zwischen 56 und 69 gilt als mäßig.
  • Ein GI ab 70 gilt als hoch.

Glykämische Last

Das Ausmaß des Blutzuckeranstiegs wird aber zusätzlich durch die tatsächlich zugeführte Kohlenhydratmenge beeinflusst. Deshalb wurde der Begriff der glykämischen Last (GL) eingeführt. Diese wird aus dem glykämischen Index und der verwertbaren Kohlenhydratmenge (in Gramm) pro Portion eines Lebensmittels berechnet. Die GL gilt als Indikator des Blutzuckeranstiegs nach dem Verzehr einer Lebensmittelportion bzw. des dadurch ausgelösten Insulinbedarfs [Bao 2011] [Bra 2003].

Beurteilung

  • Eine GL bis 10 gilt als niedrig.
  • Eine GL zwischen 10 und 20 gilt als mäßig.
  • Eine GL ab 20 gilt als hoch.

Beispiele

  • 1 Scheibe Weißbrot (GI = 73 %) enthält 14 g Kohlenhydrate: GL = 0,73 x 14 = 10,2.
  • 100 g rohe Möhren (GI = 30 %) enthalten 9 g Kohlenhydrate: GL = 0,30 x 9 = 2,7.
  • 100 g gekochte Möhren (GI = 85 %) enthalten 9 g Kohlenhydrate: GL = 0,85 x 9 = 7,65

Für Mitglieder: Recherche-Tabellentool Glykämischer Index und glykämische Last

Einflussfaktoren auf den glykämischen Index eines Lebensmittels

Während der GI für einige Lebensmittel bei wiederholten Messungen relativ stabil geblieben ist, hat sich der Wert für andere Lebensmittel stark verändert. Dies lässt sich durch zunehmende Verarbeitungsschritte während der Produktion, gezielte Veränderungen durch Züchtung oder auch unterschiedliche Rezepturen erklären. Zudem liefern die individuellen Stoffwechselsituationen der Versuchspersonen unterschiedliche Ergebnisse.

Abnehmende Partikelgröße (↑)

Mit zunehmender Verarbeitung sinkt die Partikelgröße. Dadurch steigt das Wasserabsorptionsvermögen, was zu einer größeren Angriffsfläche für Enzyme führt.

Steigender Grad der Verkleisterung (↑)

Durch die Verkleisterung der Stärke steigt das Wasserabsorptionsvermögen, was zu einer größeren Angriffsfläche für Enzyme führt.

Steigender Ballaststoffgehalt (↓)

Ballaststoffe verzögern die Magenentleerung, quellen auf und verlangsamen dadurch die Nährstoffaufnahme im Darm. Im natürlichen botanischen Verbund schließen Ballaststoffe die Stärkekörnchen ein und stellen eine Barriere für Verdauungsenzyme dar [Jun 2002].

Steigender Anteil an resistenter Stärke (↓)

Resistente Stärke ist durch Enzyme nicht angreifbar, wodurch der Anteil an verwertbaren Kohlenhydraten sinkt [Fer 2005].

Amylose-/ Amylopektin-Verhältnis (↓)

Amylose ist aufgrund der linearen Struktur für Enzyme schlechter angreifbar und wird somit langsamer aufgenommen als das verzweigtkettige Amylopektin. Ein gutes Beispiel liefert Reis: Basmati-Reis hat gekocht einen GI von 59, während Jasmin-Reis gekocht einen GI von 109 hat [Atk 2008].

Steigender Protein-/ Fettgehalt

Fette verzögern die Magenentleerung [Mac 2003]. Das Gleiche gilt vermutlich für Eiweiß [Vol 1996].

Austausch von Glukose durch Fruktose (↓)

Fruktose wird langsamer aus dem Darm aufgenommen und in der Leber umgebaut, was zu einer Verzögerung der Aufnahme im Blut führt.

Zunehmende Garzeit (↑)

Kohlenhydrate in rohen Lebensmitteln werden langsamer aufgenommen. Mit zunehmender Garzeit werden Zellwände zerstört und die enthaltenen Kohlenhydrate sind leichter verfügbar.

Gehalt an Enzyminhibitoren

Enzyminhibitoren, Lektine, Phytinsäure, Tannine und Saponine in Getreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen verlangsamen die Stärkeverdauung und die Aufnahme der Kohlenhydrate.

Individuelle Faktoren

Welche Lebensmittel in Bezug auf die Blutzuckerwirkung geeignet und welche ungeeignet sind, müsste laut Ansicht der Autoren theoretisch für jeden Menschen individuell ermittelt werden. Um diese Aussage zu belegen, stellten sie auf Grundlage ihrer Testergebnisse für 26 Teilnehmer einen individuellen Speiseplan zusammen. Jeweils eine Woche sollten sie nur für sie „gute“ Lebensmittel essen und eine Woche „schlechte“ Speisen. Obwohl bei dem einen oder anderen in der Tat Pizza und Kartoffeln auf dem „guten“ Speiseplan standen, verringerte sich bei allen in dieser Woche der postprandiale Blutzuckerspiegel sowie die Zusammensetzung der Darmflora [Zee 2015].

Im Großen und Ganzen bestätigen die Wissenschaftler damit einmal mehr: Was für den einen gesund ist, ist es für den anderen noch lange nicht. Allgemeingültige Ernährungsempfehlungen zielen meist am Individuum vorbei. Gerade in der Ernährungstherapie sind personalisierte Empfehlungen erfolgsentscheidend.

↓ Bioverfügbarkeit der Kohlenhydrate sinkt; ↑ Bioverfügbarkeit der Kohlenhydrate steigt

Präventive und ernährungstherapeutische Relevanz

Die Relevanz des Konzeptes, den GI und/oder die GL in therapeutische Empfehlungen zu integrieren, wird seit vielen Jahren kontrovers diskutiert. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung veröffentlichte in ihrer Leitlinie zur Kohlenhydratzufuhr und Prävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten relevante Studienergebnisse und bewertete die Evidenz bei verschiedenen Krankheitsbildern. Dies sei in folgender Tabelle kurz zusammengefasst. Wir verweisen auf die dort zitierte Literatur.

Aufgrund der Heterogenität im Studiendesign und den vielen Einflussgrößen auf den GI und damit die GL von Lebensmitteln ist eine wissenschaftliche Einordnung bei verschiedenen Krankheiten derzeit und wahrscheinlich auch zukünftig sehr schwierig und kritikanfällig.

Studien legen nahe, dass ein hoher glykämischer Index in der Ernährung bei Frauen mit möglicher Evidenz mit einem erhöhten Risiko für Adipositas einhergeht, während die Evidenz für einen Zusammenhang bei Männern unzureichend ist. Das Risiko für bauchbetontes Übergewicht (viszerale Adipositas) ist sowohl bei Frauen als auch bei Männern signifikant positiv mit dem GI assoziiert.

Wissenschaftliche Studien, die allein den glykämischen Index von Lebensmitteln bei Hypertonie untersuchten, sind trotz vielversprechender Ergebnisse bislang nicht ausreichend, um konkrete Empfehlungen abzuleiten.

Es gibt eine mögliche Evidenz dafür, dass ein höheres Diabetesrisiko mit einem höheren GI der Ernährung einhergeht. Soweit noch keine eingeschränkte Nierenfunktion vorliegt, können Personen mit einer Diabetes-Erkrankung zucker- bzw. stärkereiche Nahrungsmittel reduzieren und solchen mit niedriger glykämischer Last den Vorzug geben.

Gesamt- und LDL-Cholesterin: Es wurde gezeigt, dass ein hoher GI das Gesamtcholesterin im Blut mit wahrscheinlicher Evidenz erhöht. Die Evidenz für eine Beziehung des GI zur LDL-Cholesterinkonzentration im Blut ist unzureichend.

HDL-Cholesterin: Es gibt keinen Einfluss des GI eines Lebensmittels auf den HDL-Cholesterinspiegel im Blut.

Triglyzeride: In Bezug auf die Triglyzeride ist die Datenlage widersprüchlich und abschließend nicht zu bewerten.

Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Sterblichkeit

In der Vergangenheit zeigte sich bereits bei Frauen ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen dem Konsum von Lebensmitteln mit einem hohen glykämischen Index (GI) und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen [Leitlinie Kohlenhydrate 2011].

In einer Auswertung von knapp 138.000 TeilnehmerInnen einer Studie, die über 9 Jahre und 5 Kontinente lief, bestätigten sich die Beobachtungen. Personen, die viele Lebensmittel mit einem hohen GI verzehrten, wiesen eine höhere Wahrscheinlichkeit für Herzinfarkt, Schlaganfall oder Tod auf [Jen 2021].

Für das metabolische Syndrom liegen derzeit zu wenige verlässliche Daten vor. Allerdings dürfte ein ähnlich positiver Einfluss wie bei Diabetes mellitus, Adipositas oder auch Fettstoffwechselstörungen zu erwarten sein.

Es ist möglich, dass eine Ernährung mit einem hohen GI das Risiko für Darmkrebs erhöht. Insgesamt ist die Datenlage in Bezug auf Krebserkrankungen jedoch als unzureichend zu bewerten.

Praktische Aspekte

Grenzen in der Wissenschaft

Die wissenschaftlichen Erhebungs- und Messmethoden sind qualitativ höchst unterschiedlich und unterliegen vielen Einflussfaktoren. Daher können sich Werte für ein und dasselbe Lebensmittel in Abhängigkeit von Sorte, Reifezustand, Verarbeitung etc. deutlich unterscheiden, was sich in der Praxis als untauglich erweist. Zudem ist die Berechnung für ganze Rezepturen bzw. zusammengesetzte Speisen umständlich, sodass Nutzen und Aufwand in keinem guten Verhältnis stehen. Selbst wenn der glykämische Index und die glykämische Last für ganze Mahlzeiten berechnet werden können, bleibt die Frage, welche (Maximal-)Werte als Empfehlung angesetzt werden. Zudem ist der GI nicht von allen Lebensmitteln verfügbar. Ebenso wenig kann vom Kohlenhydratgehalt allein nicht auf den GI und die GL geschlossen werden, wie der Vergleich von rohen und gekochten Lebensmitteln zeigt.

Grenzen bei Lebensmitteln

Der GI bzw. die GL kann zur Verdeutlichung bestimmter Sachverhalte – z. B. wie, warum und welche Lebensmittel sich unterschiedlich stark auf den Blutzucker- bzw. Insulinspiegel auswirken – durchaus herangezogen werden. Auch eine grobe Einordnung der Lebensmittel nach dem GI bzw. der GL kann in therapeutischen Konzepten durchaus nützlich sein. Experten der Harvard Universität argumentieren, dass die GL als relevanter Parameter zur Senkung einer Insulin belastenden Ernährungsweise angesehen werden kann [Will 2011]. So sollen insbesondere Personen mit Insulinresistenz von einer Ernährungsweise profitieren, die den GI und die GL bei der Auswahl von Lebensmitteln und Speisen berücksichtigen [Bra 2008]. Zudem seien keine negativen Auswirkungen zu erwarten [Buy 2010].

Grenzen in der Umsetzung

Für die Ausrichtung ganzer Menüs und Tagespläne scheint das Konzept für die Praxis jedoch zumindest schnell an Grenzen zu stoßen. Zudem reicht es nicht aus, nur den GI und die GL zu betrachten. So hat ein hoher Gehalt an Fruktose im Lebensmittel kaum Auswirkungen auf den Blutzucker, aber eine große Bedeutung für die Entwicklung von Übergewicht oder einer Fettleber.

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