„Nichts ist schwerer zu ertragen als eine Reihe von guten Tagen“, so spricht der Volksmund und läutet damit um die Jahreswende den großen Katzenjammer ein. Was tun mit den vielen Lebensmittelresten, die über den Feiertagsmarathon um Weihnachten und Silvester anfallen?
Natürlich kaufen die meisten von uns zu viel für die Feiertage ein. Man will ja Versorgungslücken vermeiden, wenn sich Familie und Freunde um den häuslichen Tisch versammeln. Nicht auszudenken, wenn mitten in der gemeinsamen Tafelei das Brot oder die Nudeln ausgehen. Von allem wird dann eher zu viel gegessen, zu viel getrunken, zu viel… Oh ha! Aber Hand aufs Herz, ist doch auch schön. Oder? Es ist nun einmal so, das für die meisten von uns die Feiertage der dunklen Jahreszeit mit opulentem Essen verbunden sind. Deshalb, Schluss mit dem Katzengejammer. Sorgen wir uns nicht um die Figur. Das lässt sich in den nächsten Wochen ohnehin durch adäquateres Essen regeln. Sorgen wir uns lieber darum, was in unseren Kühlschränken noch so an Resten übrig bleiben wird. Das alles – wie leider in vielen Haushalten üblich – in der Biotonne zu entsorgen, das ist für einen mündigen Bürger keine Option und vor allem ist es ethisch nicht in Ordnung.
Diejenigen von uns, die die Zeiten nach dem letzten Weltkrieg erlebt haben, können sich kaum vorstellen, nicht verdorbene Speisereste einfach wegzuwerfen. Damals wurde alles verwertet, was noch essbar war. Besonders die Seniorinnen der „Ü60-Generation“ haben eine Fülle von Rezepten und Restezubereitungen parat. Die Herren waren in früheren Zeiten in der Küche nicht so gern gesehen. Immerhin wurde geschummelt, was das Zeug hielt. „Männer dürfen alles essen, aber nicht alles wissen“ war das Motto der Ehefrauen in den Nachkriegsjahren. Und so wurden Essensreste zu fantasievollen Mahlzeiten kreiert, die mit jedem Gourmettempel mithalten konnten.
Das können wir auch und es hat nichts mit Geiz zu tun, dafür aber umso mehr mit Wertschätzung. Die wurde in den letzten Jahrzehnten unter den sich ansammelnden Müllbergen begraben und verdient es, ins allgemeine Bewusstsein zurückgeholt zu werden. Es gibt übrigens eine sehr einfache Möglichkeit, die Reste vom Feste wirklich aufzubrauchen. Das wäre eine „Einkaufsdiät“. Bevor es wieder auf „Beutezug“ durch die Lebensmittelgeschäfte geht, könnte alles konsequent aufgebraucht werden, was noch da ist.
Besonders altbackenes Brot ist nach den Feiertagen in unseren Mülltonnen zu finden. Fast jedes fünfte Brot wird in unserem übersatten Land nicht gegessen. Es landet im Hausmüll und in den Biogasanlagen. Das ist völlig inakzeptabel. Nicht nur, weil hier wertvolle Ressourcen verschwendet werden. Es ist auch schade, weil altbackenes Brot die ideale Grundlage für viele leckere Rezepte ist. Die meisten Brotrezepte schmecken überhaupt nur mit altbackenem Brot. Im Gegensatz zum frischen Laib nimmt es den Geschmack der anderen Zutaten besser an.
Arme Ritter zum Beispiel stehen in meiner Familie besonders hoch im Kurs. Meine Kinder essen sie – obwohl inzwischen alle erwachsen – immer noch gern zum Frühstück. Dazu werden altbackene Brötchenhälften, Weiß- oder Toastbrotscheiben nacheinander in Milch eingeweicht und in der Pfanne goldgelb ausgebacken. Zucker, Honig oder Marmelade drüber und fertig. Wer es nicht süß mag, bekommt die armen Ritter als Eierbrot. Dafür wird die Milch leicht gesalzen und gepfeffert. Anschließend die eingeweichten Brotscheiben in einem verschlagenen Ei wälzen und in Butterschmalz ausbacken. Vielleicht ein kleiner Salat dazu und fertig ist eine komplette und sehr leckere Mahlzeit.
Wer sich mit den Brotresten nicht viel Arbeit machen möchte, schneidet sie in kleine Würfel und friert sie ein. Damit haben Sie Croûtons für den schnellen Zugriff bei der Hand. Zur Krönung von Suppen oder Salaten können diese in etwas Öl kross gebraten werden. Wer es nicht so fettig mag, mischt die Brotwürfel einfach ungebraten unter den Salat. Durch die Salatsoße werden die trockenen Brotstückchen schön würzig. Auch lecker ist eine Brotpfanne aus Brotwürfeln und Gemüseresten wie Zucchini und Tomaten, aufgepeppt mit Feta und italienischen Gewürzen.
Süßschnäbel bestreichen alte Weißbrotscheiben mit etwas Butter und Marmelade, setzen diese nebeneinander – so etwa wie Galeerensträflinge – in eine Auflaufform. Dann wird das Ganze mit Eiermilch übergossen und ausgebacken.
Wer den Auflauf lieber deftig mag, belegt die Brotscheiben mit Frischkäse und Fleischaufschnitt (der ist sicher auch noch von den Feiertagen übrig), übergießt das Ganze mit leicht gesalzener Eiermilch und backt es im Backofen. Oder ein Tipp für die Pizzafans: Die können sich im Nu eine schnelle falsche Pizza backen. Anstelle des Hefeteiges nimmt man altbackene Brotscheiben als Unterlage, bestreicht diese mit den Resten von Raclettesoßen oder Tomatenmark und wählt als Belag alles, was an Fleisch, Wurst oder Fisch übrig ist. Käse darüber und ab unter den Grill.
Was an Schnittchen von Sylvester übrig bleibt, wird zu Hasenbroten geadelt. Hasenbrote waren früher die belegten Schulbrote der Kinder oder der außer Haus beschäftigten Familienmitglieder. Was tagsüber nicht gegessen wurde, kam abends in die Pfanne. Wurstbrote können gut von beiden Seiten in etwas Öl angebraten werden. Käsebrote sollten lieber nur von der unteren Seite gebraten werden, sonst kleben sie in der Pfanne fest. Es soll Menschen gegeben haben, die diese Verwertungsvariante lieber aßen als das Original.
Reste vom Festtagsbraten und gekochtem Gemüse lassen sich kalt als Brotbelag verwenden. Als Unterlage passen gut Reste von Raclettesoßen, Senf, Mayonnaise oder Frischkäsedipps. Braten- und Gemüsereste sind auch eine ideale Grundlage für eine Restepfanne. In die kommt alles hinein, was an Fleisch, Wurst und Gemüse noch übrig ist. Dazu werden gekochte Kartoffeln, Reis oder Nudeln und Zwiebeln in etwas Öl angebraten, Fleisch- und Gemüsereste dazu und kurz aufwärmen. Zum Schluss mit Salz und Pfeffer, frischen oder tiefgefrorenen Kräutern würzen und eine Handvoll klein geschnittenen Salat darüber geben.
Wer einen wirklich wirksamen „Seelenstreichler“ braucht, wärmt Reste von gekochtem Gemüse in Gemüsebrühe auf und püriert sie mit etwas Sahne oder Milch zu einer Cremesuppe. Möhrensuppe z. B. macht sich gut mit Kokosmilch und etwas Ingwer. Vielleicht noch die Croûtons aus altbackenem Brot darüber?
Leicht verderbliches Obst wird zu Milchshakes verarbeitet. Besonders überreife Bananen ergeben mit Milch oder Joghurt einen leckeren Drink. Und wenn Sie Smoothies mögen: Das sind ideale Resteverwerter. Dazu wird alles, was an Obst weg muss, in einer Küchenmaschine vermixt. Bei Bedarf ein wenig Honig dazugeben und schon haben Sie eine leckere Nachspeise. Dieses köstliche Obstpotpourri kann solo getrunken oder gelöffelt werden. Es kann aber auch als Krönung für Pudding, Obstquark und Milchreis genommen werden oder zum Veredeln von Joghurt und Quarkspeisen.
Bratkartoffelfreunde werden sicherlich darauf geachtet haben, mehr Kartoffeln zu kochen als zu einer Mahlzeit gebraucht wurde. Und die anderen, die nach den Feiertagen welche übrig haben, werden wahrscheinlich spätestens, wenn sie die Kartoffelreste mit magerem Speck und Zwiebel verbraten haben, auch zu den Bratkartoffelfans gehören. Am besten werden die gekochten Kartoffeln mit wenig Butterschmalz in einer gusseisernen Pfanne gebraten. Wenn Sie zu viel Fett nehmen, werden die Bratkartoffeln nicht kross. Der Speck und die Zwiebeln dazu werden vorher gebraten, zur Seite gestellt und am Schluss zu den Kartoffeln gegeben.
Kartoffelsalat ist natürlich auch eine Option, gekochte Kartoffeln zu verwerten. Dafür hat wohl jede Familie ihr eigenes Geheimrezept. Meine Familie mag ihn gern in einem Sud aus warmer Gemüsebrühe und dem Saft von sauren Gurken. Und sollten Sie Kartoffelbrei übrig haben, den kann man gut zu Bratlingen adeln. Dazu wird der Brei esslöffelweise in eine Pfanne mit etwas heißem Fett gegeben, mit einem Bratenwender zu platten Plätzchen gedrückt und goldbraun ausgebacken. Wer mag, kann den Kartoffelbrei vorher noch mit pürierten Gemüseresten vermischen. Salat dazu und fertig ist das Mittagessen.
Trockener Kuchen ist viel zu schade zum Wegwerfen. Daraus lassen sich wunderbare Süßspeisen zaubern. Oft schmecken diese Nachbearbeitungen besser als der Kuchen im Original. Für ein Schichtdessert wird der Kuchen zerkrümelt, eventuell mit etwas Rum oder Amaretto getränkt und schichtweise mit Obstkompott und Schlagsahne in Gläser gefüllt. Das funktioniert übrigens auch mit Tortenresten.
Sollten Sie Kekse übrig haben, schreddern Sie diese zu süßem Paniermehl. Damit haben Sie eine Grundlage für Tortenböden. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Philadelphiatorte, die in den 70er Jahren die Runde machte? Genau dafür und andere Tortenvariationen ist das Keks-Paniermehl ideal. Spekulatius und Lebkuchenreste sind übrigens auch zum Andicken von braunen Soßen gut geeignet und geben den besonderen Pfiff.
Und was ist mit all dem anderen süßen Kram, der zu Weihnachten nicht gegessen wird? Schokoladenweihnachtsmänner bis Ostern aufzuheben und dann mit neuem Stanniol zu Osterhasen umzustylen, ist ein lustiger Tipp für Kostverächter. Denen macht es nichts aus, dass die Schokolade bis dahin verdorben ist. Servieren Sie die Schokomänner und andere Schokoladenreste lieber zeitnah in heißer Milch aufgelöst als Trinkschokolade. Die ist leckerer als die hoch verzuckerten Kakaogetränke-Pulver aus dem Lebensmittelhandel.
Als Tochter einer Nachkriegshausfrau ist die Resteverwertung sozusagen mein zweiter Vorname. Natürlich war auch mein Haushalt nicht zu jeder Zeit von Versorgungslücken frei. Solche peinlichen Momente sind jedoch die ideale Vorlage für eine andere Form von Resteverwertung: Geschichten, die das Leben schreibt und die sich zur Erheiterung von Freunden, Kindern und Enkeln erzählen lassen. Solche selbst erlebten Anekdoten sind praktisch, Sie haben sie immer in Ihrem Kopf dabei, sie können nicht verderben und haben kein Mindesthaltbarkeitsdatum. Diese hier zum Beispiel ist so eine, bei der ich mit hochrotem Kopf überlegen musste, wie man denn nun den letzten Gast auch noch satt bekommt, obwohl der Topf bereits den Grund zeigte.
Und wie ich da in der Sonne liege und mich dem Fastnichtstun widme, da passiert es. Die kleine Tochter der Herbergsmutter stürzt mit dem Fahrrad auf den Schottergrund und verletzt sich das Gesicht so schwer, dass sie mit der Mutter zum ärztlichen Notdienst in der nächsten Stadt muss. Was für ein Dilemma! Der Jugendherbergsvater ist unterwegs und in einer guten Stunde sind achtzig hungrige Mäuler mit Essen zu füllen. Klar, hier wird eine Frau gebraucht, die sich mit Großfamilien auskennt. Ich begebe mich sofort in die Herbergsküche, null Ahnung, wo was an Geräten und Zutaten zu finden ist. Aber gemach, gemach. Alle Küchen dieser Welt sind von ihrer Logistik ähnlich aufgebaut. Heute soll es Spaghetti Bolognese geben. Achtzig Portionen. In einer Stunde.
Die beiden jungen Küchenhilfen sind erst seit wenigen Tagen hier und noch nicht wirklich eine Hilfe. Trotzdem gelingt es uns, die Riesentöpfe samt Zutaten klar zu machen und rechtzeitig mit dem Kochen der Nudeln und der Bolognese zu beginnen. Da kommt alles hinein, was eine vernünftige Sauce Bolognese braucht und „einen gibt der Bauer sowieso immer dazu“. Eine Minute vor 12 Uhr ist alles fertig. Ich öffne die Essensausgabeklappe und schaue direkt in achtzig hungrige Augenpaare. Teller geschnappt, Nudeln drauf, Bolognese drüber und raus damit. Der nächste Teller. Nudeln, Bolognese und raus. Der nächste…..
Es hört überhaupt nicht auf! Die Nudeln schwinden bedenklich, die Bolognese zeigt bereits den Topfgrund und immer noch eine Schlange vor der Essensausgabe. Jetzt werde ich doch nervös. Am Ende sind nur noch zwei Nudeln da, die Bolognese ist bereits Geschichte und vor mir ein kleiner Junge, der mich erwartungsvoll anguckt. Mein Herz weint. „Warte, ich räume hier schnell auf und dann lade ich Dich zum Essen ein.“ „Nee“, grinst der Kleine, „das brauchen Sie nicht. Ich bin schon zum dritten Mal hier und eigentlich satt. Aber das schmeckt wie zu Hause!“
Buchempfehlungen von und mit unserer Autorin Marianne Reiß
- Reste-Essen reloaded. Die Tipps und Tricks der Nachkriegsküche. Books on Demand 2017
- Ostern mitten im Dezember – Pfarrhausgeschichten. Books on Demand 2016