Für eine normale körperliche und geistige Entwicklung ist eine ausreichende Versorgung mit Jod über die Nahrung alternativlos. Im Erwachsenenalter sind die in der Schilddrüse gebildeten Hormone, die Jod benötigen, an allen Lebensvorgängen beteiligt.
Indes nehmen Schilddrüsenerkrankungen immer weiter zu. Das Medikament L-Thyroxin ist mittlerweile eines der am häufigsten ärztlich verordneten Medikamente zur Therapie von Funktionsstörungen der Schilddrüse. Vor allem die Autoimmunkrankheiten Hashimoto-Thyreoiditis (Form der Schilddrüsenunterfunktion) und Morbus Basedow (Form der Schilddrüsenüberfunktion) halten Einzug in unsere Gesellschaft. Das hat weitreichende Folgen für Entwicklung, Wachstum, Stoffwechsel, Energieumsatz, Temperaturregulation sowie die normale Gehirnentwicklung und -funktion eines jeden Betroffenen.
Aufbau und Funktionsweise
Aufbau
Unsere Schilddrüse (Glandula thyreoidea) ist ein schmetterlingsförmiges Drüsenorgan, das sich vor und leicht unter dem Kehlkopf um die Luftröhre legt. Das für den Stoffwechsel lebenswichtige Organ ist gut tastbar, im gesunden Zustand jedoch äußerlich nicht sichtbar. Es besteht grob gesagt aus zwei Lappen, die durch eine Art Mittelstück (Isthmus) verbunden sind. Umgeben ist die Schilddrüse von einer doppelschichtigen Bindegewebskapsel, die es an der Luftröhre befestigt und so das Auf- und Abgleiten während des Schluckvorgangs ermöglicht.
Die beiden Lappen sind noch einmal in eine Vielzahl reiskorngroßer Läppchen (Lobuli) untergliedert, welche die Schilddrüsenfollikel enthalten. Dabei handelt es sich um etwa 0,1 bis 1 mm große Bläschen, die von einer Zellschicht (Epithel) umgeben sind. Die Bläschen enthalten ein Speichereiweiß (Thyreoglobulin), das der Synthese und Speicherung der für uns so wichtigen Schilddrüsenhormone dient. Zwischen den Follikeln liegen die sogenannten C-Zellen, in denen das Hormon Calcitonin gebildet wird.
An den Seiten der Schilddrüsen liegen die Nebenschilddrüsen. Die kleinen linsenförmigen Organe sind funktionell nicht mit der Schilddrüse verbunden.
Bildung Schilddrüsenhormone
Die Schilddrüse bildet im Wesentlichen 3 Hormone: die für den Gesamtstoffwechsel zentralen Hormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) sowie das für den Knochenstoffwechsel wichtige Calcitonin. Der Begriff Schilddrüsenhormone umfasst in aller Regel aber nur T3 und T4. Diese beiden Hormone stammen von der Aminosäure Tyrosin ab und enthalten als essenziellen Bestandteil Jod. T3 enthält drei; T4 enthält vier Jod-Moleküle. Es handelt sich um die einzigen Verbindungen im Körper, die auf Jod angewiesen sind.
T4 ist die weniger wirksame Form der Schilddrüsenhormone. Es wird ausschließlich in der Schilddrüse gebildet und anschließend an Eiweiße gebunden im Blut transportiert. Erst kurz vor dem Zielgewebe wird T4 durch ein Enzym (Dejodase) in T3 umgewandelt. Neben der Leber decken so noch weitere Gewebe wie Muskulatur, Darm oder das braune Fettgewebe ihren Bedarf an Schilddrüsenhormonen.
T3 ist die biologisch hochaktive Form. Es kann aufgrund des fehlenden Jodatoms die Zellwände besser passieren und löst in der Zelle ein fünffach stärkeres Signal aus als T4.
Neben der absolut produzierten Menge an T4 spielt also auch die Fähigkeit der einzelnen Organe und Gewebe, daraus T3 zu bilden, für unsere Gesundheit und bei der Therapie von Schilddrüsenerkrankungen eine wichtige Rolle.
Regulation Hormonbildung
Die Kontrolle der Hormonbildung und -freisetzung unterliegt einem zentralen Regelkreis im Gehirn: dem Hypothalamus-Hypophysen-System. Verschiedene Reize wie zum Beispiel niedrige Hormonspiegel an T3 und T4, starke Kälte oder Stress regen den Hypothalamus an, das übergeordnete Hormon TRH (thyreotropin releasing hormon, auch Thyreoliberin) auszuschütten. TRH wiederum stimuliert in der Hypophyse die Freisetzung des Steuerungshormons TSH (thyreoidea stimulating hormon, auch Thyreotropin). TSH gelangt über die Blutbahn zur Schilddrüse und reguliert hier die Bildung und Freisetzung der Schilddrüsenhormone T3 und T4.
Aufgaben der Schilddrüsenhormone
Entwicklung des Ungeborenen
Schilddrüsenhormone fördern das Körperwachstum, indem die Produktion des Wachstumshormons STH (Somatotropin) stimuliert wird. Es wird gleichermaßen das Wachstum der Knochen angeregt. Des Weiteren spielt T3 für die Gehirnentwicklung wie die Bildung von Synapsen und Nervenzellen während der Embryonalphase eine große Rolle.
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
Minderwuchs, Missbildungen Skelett (Kretinismus) | Knochenschwund (Osteoporose) |
verzögerte geistige Entwicklung | erhöhter Blutkalziumspiegel |
Sprachstörungen, Taubheit | erhöhte Kalziumausscheidung |
Energie- und Zellstoffwechsel
T3 erhöht den Sauerstoffverbrauch sowie den Energieumsatz der Mitochondrien und somit den Grundumsatz der Zelle. Infolgedessen steigt die Wärmefreisetzung (Thermogenese) [Lan 2016]. Die Freisetzung von Schilddrüsenhormonen ist damit eine der Möglichkeiten für den Körper, auf Kälteeinwirkung von außen zu reagieren. Die Hormongehalte im Blut unterliegen daher jahreszeitlichen Schwankungen.
T3 und T4 sind effektive Regulatoren der Mitochondrien. Über die Stimulation verschiedener Zellprozesse steigt sowohl die Anzahl als auch die Power unserer Zellkraftwerke [Ven 2008].
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
niedrige Körpertemperatur | erhöhte Körpertemperatur |
Kälteempfindlichkeit, Frieren | Wärmeempfindlichkeit, Schwitzen |
verminderter Grundumsatz und Gewichtszunahme trotz verringerter Energie-/ Kalorienzufuhr | erhöhter Grundumsatz mit Gewichtsabnahme trotz erhöhter Kalorien-/ Energiezufuhr |
trockene, raue Haut und glanzloses, struppiges Haar | warme, feuchte Haut |
Kohlenhydrat-, Eiweiß- und Fettstoffwechsel
T3 erhöht den Blutzuckerspiegel und wirkt somit entgegengesetzt zum Hormon Insulin. Es beschleunigt die Aufnahme von Glukose im Darm und kurbelt die Neubildung (Gluconeogenese) sowie die Freisetzung des Zuckers aus den körpereigenen Speichern an. Unter dem Einfluss der Schilddrüsenhormone erhöht sich zudem die Eiweißsynthese.
Auch steigt die Konzentration an freien Fettsäuren im Blut, indem die Enzyme der Fettsäuren-Neubildung stimuliert werden. Gleichzeitig wird der Fettabbau (Lipolyse) gefördert. Weiterhin regulieren die Hormone den Cholesterinstoffwechsel: Umsatz, Synthese und Abbau von Cholesterin werden angeregt.
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
Tendenz zur Hypoglykämie (Unterzuckerung) | Tendenz zur Hyperglykämie (hoher Blutzuckerspiegel) |
Hypercholesterinämie (hohe LDL-Cholesterinwerte) | gestörte Glukosetoleranz |
normale bis hohe Triglyzeridwerte | erhöhte diabetische Stoffwechsellage |
Hormonstoffwechsel, Immunsystem und Stressverarbeitung
Nicht unbeeinflusst bleibt der Hormonhaushalt unseres Körpers. Schilddrüsenhormone heizen die Freisetzung und Wirkung von Adrenalin an und sorgen für eine ausreichende Bildung von Steroidhormonen wie Testosteron, Östrogen und Progesteron [Kum 2007]; [Tre 2008]. So nimmt die Schilddrüse scheinbar Einfluss auf Fruchtbarkeit, Libido und Menstruationszyklus. Zudem verstärkt sich die Wirkung weiterer Neurotransmitter. Über den Einfluss auf die Steroidhormone erklärt sich auch der veränderte Cholesterinstoffwechsel bei Schilddrüsenfunktionsstörungen.
Zudem fördert T3 ein gut funktionierendes Immunsystem. Es stimuliert ein Schlüsselenzym der Zellatmung, reduziert dadurch die Bildung von freien Radikalen in der Zelle und sorgt für weniger oxidativen Stress [She 2004]. Das wirkt sich positiv auf unser Immunsystem aus und erhöht gleichermaßen den Energieumsatz.
Unter psychischem Stress wiederum steigt die Konzentration des Stresshormons Cortisol in unserem Blut. Daraufhin ändert das Gehirn seine Befehle an die Schilddrüse, in dessen Folge weniger Hormone gebildet und freigesetzt werden.
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
Menstruationsstörungen (Frauen) | Menstruationsstörungen (Frauen) |
verminderte Libido, Fruchtbarkeit | Übererregbarkeit |
erhöhte Infektanfälligkeit |
Herz-Kreislauf-System und Muskulatur
Im Herzmuskel steigert T3 die Sensibilität der Herzzellen für Adrenalin und Noradrenalin. Dies erhöht die Kontraktionsfähigkeit des Herzens und die Herzfrequenz. Zudem steigt die Produktion verschiedener Eiweiße wie Myosin, welche direkt am Kontraktionsprozess des Herzmuskels beteiligt sind.
Auch mehren sich Hinweise, dass die Schilddrüsenhormone Einfluss auf Wachstum und Zusammensetzung bzw. Aufbau der Muskelfasern nehmen können [Sal 2014]; [Lee 2014]. Während der Anteil an oxidativen Typ 1-Muskelfasern unter T3 abnimmt, soll der Anteil an glykolytischen Typ 2-Muskelfasern zunehmen [Kim 2013].
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
verlangsamter Herzschlag/ verminderte Herzfrequenz | erhöhter Herzschlag/ erhöhte Herzfrequenz |
niedriger Blutdruck | erhöhter Blutdruck |
verminderte Durchblutung aller Organe | erhöhte Durchblutung aller Organe |
Anämie (Blutarmut) | Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen |
Zunahme „langsamer“ Typ 1-Muskelfasern | Zunahme „schneller“ Typ 2-Muskelfasern |
Gehirnstoffwechsel und Leistungsfähigkeit
Die Schilddrüsenhormone beeinflussen ebenso unsere Leistungsfähigkeit. Wie bereits beschrieben, steigert T3 die Wirkung einiger Neurotransmitter. Es erhöht wie im Herzen die Sensitivität für Adrenalin und Noradrenalin. Zudem fördert es die Durchblutung sowie die Glukoseversorgung im Gehirn. Somit steigert es Konzentrations- und Leistungsfähigkeit sowie Gedächtnisleistung und Motivation.
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
nachlassende Leistungsfähigkeit | hohe Leistungsfähigkeit |
Niedergeschlagenheit | Übererregbarkeit, Schlafstörungen |
herabgesetzte Konzentrationsfähigkeit | innere Unruhe, Rastlosigkeit |
Ferner stehen unsere Verdauungsorgane unter dem Einfluss der Schilddrüsenhormone. T3 stimuliert im Magen die Bildung von Magensäure sowie die glatte Muskulatur in der Darmwand und regt die Darmbewegung an. Sowohl im Magen als auch im Darm soll T3 die Durchlässigkeit der Schleimhaut mit regulieren. Dieser Mechanismus würde auch das bei Schilddrüsenerkrankungen häufig auftretende Leaky Gut Syndrom erklären [van 1999]; [Yan2003]. In den Nieren erhöht es die Filtrationsrate, fördert die Natriumrückresorption und die Kaliumausscheidung. Hierdurch wird auch vermehrt Wasser im Körper zurückgehalten, wodurch das Blutvolumen steigt. In der Leber wiederum sorgen die Schilddrüsenhormone für einen effizienten Abbau von Medikamenten und unterstützen die Entgiftung.
Symptome bei Schilddrüsenunterfunktion | Symptome bei Schilddrüsenüberfunktion |
Verstopfung (Obstipation) | Durchfall (Diarrhoe) |
Stauung von Kot im Darm (Koprostase) und Darmverschluss (Ileus) | Gewichtsverlust durch mangelnde Nährstoffaufnahme |
verminderte Filtrationsrate in den Nieren: Wassereinlagerungen, niedrige Natriumspiegel | erhöhte Filtrationsrate in den Nieren, hohe Natriumspiegel |
verzögerte Magenentleerung: Erbrechen und Übelkeit | Malabsorptionsstörungen (gestörte Nährstoffaufnahme) |
gestörter Abbau von Medikamenten; gestörte Entgiftung |
Erkrankungen der Schilddrüse
Jodmangelgebiete
Deutschland zählte lange Zeit zum Jodmangelgebiet. Die unzureichende Deckung des Jodbedarfs von großen Teilen der Bevölkerung äußerte sich in zahlreichen Strumen bzw. Knoten in der Schilddrüse und manifestierte sich typischerweise im Bild des Kropfes. Politische Maßnahmen wie die Jodierung von Speisesalz und Futtermitteln verbesserte die Versorgung der Bevölkerung mit Jod.
Jodmangel-bedingte Erkrankungen
Schilddrüsenerkrankungen wie die Jodmangel-bedingte Schilddrüsenunterfunktion nahmen daraufhin stetig ab. Hingegen steigt seitdem die Zahl der Betroffenen mit Hashimoto-Thyreoiditis – eine schwere und chronische Entzündung der Schilddrüse. Auch das Bild des Morbus Basedow tritt immer öfter in Erscheinung. Beiden Krankheitsbildern liegen Autoimmunprozesse zugrunde, die einerseits genetisch, andererseits aber durch unseren heute geprägten Lebensstil befeuert werden.
Hormondiagnostik bei Schilddrüsenerkrankungen
Das Hormon TSH (Thyreoidea-stimulierendes Hormon) wird in der Hypophyse – vermittelt durch TRH (Thyreoliberin) – gebildet und bei Bedarf an Schilddrüsenhormonen freigesetzt. TSH gelangt über die Blutbahn zur Schilddrüse und fördert hier die Neubildung und Freisetzung der Schilddrüsenhormone (T3, T4) sowie das Wachstum der Schilddrüse. Dadurch nimmt die Schilddrüse bei hohen TSH-Konzentrationen an Volumen zu. Das aktive T3, das bei Bedarf aus der Speicherform T4 gebildet wird, wirkt stoffwechselanregend und beeinflusst zahlreiche Körperfunktionen. Zirkulieren ausreichend Schilddrüsenhormone im Blutkreislauf, wird die Freisetzung von TSH und damit die Wirkung auf die Schilddrüse gedrosselt. Eine Über- oder Unterfunktion der Schilddrüse äußert sich neben veränderten T3- und T4-Werten auch in der Höhe des TSH-Spiegels im Blut. Während bei einer Unterfunktion der TSH-Blutspiegel kompensatorisch erhöht ist, ist die Freisetzung bei Überfunktion dauerhaft gehemmt. Die Bestimmung erfolgt im Blutserum zur Diagnose sowie zur Verlaufs- und Therapiekontrolle von Schilddrüsenerkrankungen.
In den ersten Stadien einer Schilddrüsenfunktionsstörung kann eine normale bis hochnormale Konzentration an TSH vorliegen, da der Körper versucht, einen Mangel oder Überschuss zu kompensieren. Erst bei einer Manifestation ist der TSH-Wert verändert. Ein erhöhter TSH-Wert ist immer mit einer Störung der Schilddrüse verbunden.
Parameter | Normwert | Primäre Hypothyreose | Sekundäre Hypothyreose | Primäre Hyperthyreose | Sekundäre Hyperthyreose | Jod-induzierte Hyperthyreose |
TRH | normal | normal/ niedrig | normal | normal/ hoch | normal | |
TSH (mU/l) | 0,26-4,20 | erhöht | erniedrigt | erniedrigt | erhöht | erniedrigt |
freies T3 (fT3; pmol/l) | 5,4-12,3 | erniedrigt | erniedrigt | erhöht | erhöht | erniedrigt |
freies T4 (fT4; pmol/l)) | 10-23 | erniedrigt | erniedrigt | erhöht | erhöht | erhöht |
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